1. Schweizer Lehmbau-Symposium

05. – 07. Mai 2023

1. Schweizer Lehmbau-Symposium
Die Tragweite des Lehms

 

Vom 5.-7. Mai 2023 findet in Chur und Umgebung das 1. Schweizer Lehmbau Symposium statt. In einer Kooperation zwischen der ibW Höhere Fachschule Südostschweiz und der IG Lehm erfahren Interessierte an diesen drei Tagen alles Wissenswerte zu diesem alten, neuen Baustoff.

Flyer Lehmbau-Symposium
Programm Lehmbau-Symposium

Meldung ibw mit Handouts

Das übergeordnete Ziel des Symposiums ist die Förderung des Lehmbaus als nachhaltige und zukunftsfähige Bauweise. Bauen mit Lehm ist nicht neu, es handelt sich um eine der ältesten Bauweisen weltweit. Seit einigen Jahren ist Lehm wieder entdeckt worden. Es zeigt sich, dass dieser Baustoff eine neue und intelligente Alternative zum konventionellen, oft nicht nachhaltigen Bauen, darstellt.

Lehm hat einzigartige positive Eigenschaften: Lehm ist vielerorts verfügbar, sorgt durch die Feuchtigkeitsregulation für ein gesundes Raumklima und reguliert Temperaturschwankungen. Seine extrem günstigen Eigenschaften machen es möglich, dass Lehm ganz ohne Qualitätsverlust mehrfach verwendet und danach bedenkenlos wieder in den ökologischen Kreislauf zurückgeführt werden kann.

Am Symposium erfahren Berufsleute aus dem Bauhauptgewerbe, Bau, Handwerk, Holzbau, Massivbau, Haustechnik sowie Bauingenieure, Architekt/-innen und Baubiolog/-innen viel Wissenswertes über das grosse Potenzial des Lehmbaus.

Informationen zur Lehmbau-Exkursion

Lehm zeigen und nachfragen

Sequenzen von den Vorträge

Das 1. Schweizer Lehmbau-Symposium fand vom Freitagabend bis Samstagabend an der ibw Höhere fachschule Südostschweiz in Chur statt und wurde unter der Regie von Margit Geiger und in Zusammenarbeit mit der IG Lehm ausgerichtet. Die hochkarätige Besetzung lockte mehr als 70 Teilnehmende nach Graubünden und es präsentierte sich ein breites Bild der Lehmaktivitäten im In- und Ausland für jegliches Niveau an Vorkenntnissen.
Während der Pausen zwischen den Vorträgen am Samstag hatten die Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit, sich an den Stationen des Terramobils einzufinden, um Lehmbautechniken zu entdecken, zu betrachten und auszuprobieren. Dabei konnten sie beispielsweise Lehm stampfen und Lehmsteine pressen. Weitere Magnete waren die Schweizer Geologiekarte und die Aushublehm-Muster.

Den Auftakt übernahm nach den Begrüssungsworten von Schulleiter James Cristallo und Lehmaktivistin Margit Geiger am Freitag Guillaume Habert. Ausgehend von Forschungsarbeiten an seinem Lehrstuhl für nachhaltiges Bauen an der ETH schlägt er den Bogen von den deutlichen Zahlen, die sowohl der CO2-Ausstoss wie auch der enorme Energieverbrauch, die vom Bausektor ausgehen, belegen. Diese gehen zu Lasten von konventionellen Baumaterialien etwa des übermässig verwendeten Beton. Auch die Faktoren, die oft vernachlässigt werden, wie die gesundheitlichen Auswirkungen und Schönheit des Gebäudes sind mindestens genauso relevant als positive Aspekte auf die Kosten in der gesamten Lebensdauer wie die Wirtschaftlichkeit im Produktionsprozess. Derweil steht ein neuer gestalterischen Ausdruck der Konstruktion und des Volumens aus der Gegenrechnung mit Ersatz von energieintensiven Materialien durch nachwachsende Baustoffe an. Überraschenderweise gibt er für den 3D-Druck im Lehmbau wegen des geringen Sparpotenzials keinen Freibrief. Letztlich stellt sich eben doch die Frage, worauf man sich stützen möchte. Baut man auf Erfahrungen von Facharbeitern oder auf die Erkenntnisse von aufstrebendem technologieintensivem Wissen. Im Allgemeinen geht vieles auf die Regel zurück, dass schneller auch mehr CO2-Ausstoss bedeutet. [Anm. Red.: Wie steht es also mit industrialisiertem Vorgehen? Ist dies doch erklärtermassen schneller.]

Der Ansatz der angesehenen marokkanischen Architektin und Anthropologin Salima Naji stützt sich dagegen auf die empfindsame Wahrnehmung ihrer baulichen und gesellschaftlichen Umgebung und der zeitlichen Einordnung der gestalterischen Eingriffe. Die gemeinschaftlichen Dachgärten widersetzen sich mit ihrer soliden Verwurzelung der externen industriellen Logik und drücken eine zugewandte Architektur durch inkludierende und authentische Gesten des Bauens und Lebens aus. Demnach zeugen sie auch von wiedererlangtem Stolz in den lokalen Gemeinschaften.

Am Samstag haben sowohl die Geschichten und Anliegen der Veranstaltungspartner wie auch die Sponsoren ihren Platz. Dieter Baltensperger von der Stroba und Josias Gasser von Do it/ Gasser  Baumaterialien bezeugen ihre ökologische Tradition und ihren Willen, Teil neuen ökologischen Handelns zu werden.
Wie die Vorstandsmitglieder Doris Müller und Christiane Löffler aufführen, ist die IG Lehm als Lehmfachverband Schweiz nicht nur als Heimat der Pioniergeneration des Schweizer Lehmbaus und ihrer ersten Gehversuche mit dem wiederentdeckten Baumaterial in den 80er-Jahren wegbereitend, sondern ist heute Hort der praktischen Erfahrungen im Lehmbau mit Fachleuten in vielen bewährten Techniken und mit Potenzial, diese weiterentwickeln zu können. So ist die konsequente praktische Bildungsarbeit heute Werkzeug und Motivationsgrundlage, um an zukünftigen Entwicklungen teilhaben zu können.

Einen konkreten Blick in die Zukunft richtet die estnische Forscherin Johanna Liblik von der Tallinn University mit ihrer vielversprechenden Forschungsarbeit zum Brandverhalten von Lehmschichten aus Putz und Platten. Zuerst ist die Anforderung an Brennbarkeit von Lehm, der an sich als nicht brennbar gilt, zu fixieren. In Abhängigkeit von Faserzuschlägen bekommt er dies allerdings nicht immer zugesprochen. Weiteres wesentliches Kriterium sind die REI-Anforderungen. Über kleinmassstäbliche Testreihen entwickelten sich die wesentlichen Parameter und so konnte sie diese Beobachtungen in grösseren Brandversuchen nutzen und auch vielfach bestätigen. Das Verhalten der Lehmputze in typischen Aufbauten des Lehmbaus wie etwa mit Untergründen mit Holz und Schilf zeigt nach einem zügigeren Start des Abbrands eine längere Schutzwirkung. Lehmplatten indes verhalten sich noch widerstandsfähiger und bergen durchaus Potenzial.

Mit ihrem Fokus auf Zirkularität führt Charlotte Bofinger von Zirkular den Gedanken weiter und eröffnet dem Lehm auch da ein neues Leben als brandschützende Armierungsüberdeckung für gealterte Betonbauteile in Wiederverwendung. Die Bauwirtschaft agiert nach wie vor am Kreislauf vorbei und trägt im Übermass zum Abfallstrom bei. Auch CO2 ist Teil dieses produzierten Abfalls. In dieser Produktion verschuldet sich der Zement gleich in doppelter Hinsicht mit dem Kohlendioxid aus dem Stein und des Energieaufwands beim Brennen. Insofern ist neben einem Abriss-Moratorium das Denken in Wiederverwendung dringlich geboten und dem Lehm sozusagen in die Wiege gelegt. Dies führt unweigerlich zu neuen Designkonzepten und Prozessen, die sich an der Verfügbarkeit der Mittel für neue Kombinationen und der ausgiebigen Nutzung des Bestands orientieren.

Zum heutigen Baubestand gehören leider auch viele Bauten, die unserer Gesundheit nicht zuträglich sind. Auf diese Problematik als Kern der Baubiologie verweist der Lehmbauer Holger Längle in seinem eindringlichen Vortrag. Diffuse Krankheitsbilder sind symptomatisch für Fehlentwicklungen der abgesperrten Bauart unserer dritten Haut und unseres domestizierten Verhaltens in eigentlich schützenden Räumen.
In vielen Belangen kann der Lehm hier Dienste erweisen, sei es bei Schadstoffen oder Elektrosmog, oder sei es ganz einfach durch das Vermeiden anderer ungesunder Materialien im heute verbreitetem Bauen mit synthetischen Zusätzen und Verflüchtigungsstoffen, die sich letztlich doch nicht in Luft auflösen.

All diese Faktoren spielten beim impulsgebenden Umbau von Marc Hübner vomLehmbaustoffproduzenten Lehmwerk ch natürlich auch eine Rolle und führten zur Hinwendung zum Lehm. Auf diesem Weg gelangte er an die IG Lehm und wurde dort von der Idee des offenen Wissens ohne Geheimniskrämerei und der Zugänglichkeit des Materials angefixt. Die Gründe wie er zum Lehmbaustoff-Produzenten wurde, fusst aber eher auf der weitreichenden Verfügbarkeit von Lehm und der vermeidbaren Transporte. Dabei kam es zur Entwicklung von hauptsächlich Lehmplatten und Lehmputzen, auch weil die Schweiz bislang keinen Markt für Lehmsteine bietet. Sein Augenmerk als Maschinenbauingenieur liegt nach wie vor auf der Vereinfachung der Prozesse mittels Werkzeuge und Maschinen, etwa mit einem stationären Transportmischer für trockenen Grundputz. Auch Anpassungen an heutige Marktprämissen liegen ihm nicht ganz fern – solange Aushub tatsächlich schwerer zugänglich ist als Tonpulver. Neuerdings gibt es andere Anfragen, Lehm gehört sich heute – sei es als reine Kompensation der berechneten Gebäudewerte oder als vermeintlich allheilbringendes Baumaterial. Skeptisch bleibt er vor allem, wenn es um die Tendenzen geht, Wissen im Lehmbau exklusiv zu machen. Er stellt die Frage in den Raum, wie sich eine  Bescheidenheit unbescheiden in einer Bauwelt, der Bescheidenheit gänzlich fremd ist, weiter verbreiten könnte? Damit schlägt er im Prinzip in die gleiche Kerbe wie Charlotte Bofinger mit dem Respekt für das Vorhandene.

In der Natur dieses Denkens bewegt sich Salima Naji auch in ihrem zweiten Vortrag mit ihrer Botschaft, dass Erde der soziale Mittelpunkt ist. In Marokko arbeitet sie mit dem, was die Erde ihr direkt zur Verfügung stellt, mit Lehm, Steinen und Kalk. Und mit denen, die mit dem Leben und der Mutter Erde in Verbindung stehen, sie hegen und spüren, Frauen, Kinder und ältere Menschen.

Von der Teilhabe und der lokalen Wertschöpfung und der damit verbundenen Anerkennung ihres Schaffens berichtet auch Saikal Zhunushova. Als Architektin arbeitet sie mit ihrem Büro Oekofacta an Projekten sowohl in der Schweiz wie auch in ihrem Herkunftsland, dem nomadisch geprägten Kirgistan. Auch dort kommt die Tradition gemeinschaftlichen Bauens im Dorf immer mehr abhanden. Lehm zeigt sich wie so oft eher in der schadhaften Unkenntnis des sorglosen Umgangs mit Traditionen und hat somit ein schlechtes Image. Aber der Baumeister ihres Vertrauens (ihres Heldens) zückt immer wieder Trümpfe aus dem traditionellen Repertoire, das beide in vereinter Kompetenz neu zu etablieren wissen, etwa mit Stampfstroh (nur mit Lehmwasser und inkl. Wurzelarmierung). Da liegt das Versprechen eines verlockenden Terramisu und die Lust auf mehr durchaus im Bereich der Möglichkeiten!

Als verantwortlicher Unternehmer des derzeit grössten Stampflehmbaus Deutschlands, dem Logistikzentrum für Weleda in Schwäbisch Gmünd ist Hubert Heinrichs eine Extraklasse für sich. Denn neben seinen erstrangigen Zusammenarbeiten bindet er auch hier soziale Verantwortung als integralen Bestandteil seiner Tätigkeit mit ein. Für die 133 horizontalen Lehmschichten stampften 105 Mitwirkende in jeweils sechs Trupps vor Ort bei allen Wetterlagen 8m hohe Wände aus dem Boden. Da führten die Erfahrenen die Neuen jeweils ein und so bildete sich automatisch eine Gemeinschaft. Nicht von ungefähr ist dieses Engagement in vielen seiner Projekte der Leitfaden. Ihm geht es darum, die Menschen in ihrem Wirken wachsen zu sehen und sie damit Selbstvertrauen entwickeln. Die Tradition der Dünner Lehmbrote, die in den 1920er-Jahren das eigenhändige einfache Bauen zugänglich machte, führte er als Zimmermann in eine Holzbauweise mit Leichtlehm über.  Mit freiwilligen Laien realisierte er 70-80 Häuser für Tschernobyl-Opfer in Weissrussland. Auch die Projekte für Langzeitarbeitslose in den 90er-Jahren sind mehr als ein Aufrichten von Wänden - es richtet die Menschen auf und so ist der Lehmbau wieder einmal mehr als Bauen und die Motivation zum Handanlegen auch heute erst recht nicht von gestern.

Dennoch lohnt sich ein Blick in die Geschichte und insbesondere in die Traditionen im Lehmbau anderer Weltregionen, wie es die Architekturwissenschaftlerin Andrea Rieger-Jandl mit ihren Studierenden am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege an der TU Wien pflegt. Aus dem Bedürfnis des Wohnens an sich ist klar, dass sich Mensch und Architektur gegenseitig bedingen und so auch das vernakuläre Bauen zur grundlegenden menschlichen Identität gehört. Darin scheint er bis hin zur Hochkultur der Architektur wohl allentwegen dem Prestige und Status dienen zu wollen. Die modernen Bilder des Bauens haben sich in den letzten Jahrzehnten allenorts, vom Südsudan, dem Irak bis nach Nepal mit  Beton und Zementstein festgesetzt und den traditionellen Lehmbau verdrängt. Die Einflüsse des globalen Nordens wurden durchaus offen entgegen genommen. Es deckt neuere Bedürfnisse, übergeht allerdings komfortable Qualitäten des Althergebrachten in den alten Lehmhäusern. Erste selbstbestimmte Rückbesinnungen kommen aber langsam in Gang. Durch die Aufmerksamkeit wegweisender externer Akteure oder auch Touristen steigt wiederum das Bewusstsein und die Wertschätzung für das eigene baukulturelle Erbe, insbesondere dann, wenn sie in einer zeitgemässen Adaption einen hohen Stellenwert in Gestaltung und Schönheit bekommen. So geht es darum hier wie dort begeisternde Bauprojekte als Katalysatoren einer aktiven Präsenz in Gesellschaft und Politik zu nutzen und so zu oberst auf die Wunschliste der Bauakteure zu kommen.

Dass ein Wandel ansteht spüren alle Beteiligten der Podiumsdiskussion mit Saikal Zhunushova, Hubert Heinrichs, Andrea Rieger-Jandl und Lehmbauer Arno Labouré in der Moderation von Paul Knüsel. Dieses betrifft nicht nur die Materialisierung, die als Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte im Hinblick auf Klima, Gesundheit und Umwelt von Statten ging, sondern vor allem die gesellschaftliche Dimension. Das Streben nach Sinn stiftenden Tätigkeiten und das Wirkungspotenzial des eigenen Handelns in menschlichem Massstab kann in Multiplikation mit dem Baustoff Lehm neue soziale Horizonte schaffen, an der alle teilhaben können – jenseits der Diskussion, welcher Technik mehr Relevanz zusteht. Hauptsache viel Lehm und lehmaffine Menschen!

Dass der Sprung zur breiten Anwendung des Lehmbaus in Deutschland unmittelbar bevorsteht, zeigt Christof Ziegert von ZRS Berlin auf, der seit vielen Jahren als Schlüsselfigur der aktiven Gestaltung eines sich etablierenden Lehmbaus mit grosser Zukunft gilt und in Forschung, Ausbildung und Normung massgebliche Beiträge leistet. Die Beschäftigung mit historischen Projekten weisen ihm den Weg zum materialgerechten Umgang mit dem Urbaustoff Lehm. Er sei eben dort einzusetzen, wo er seine Qualitäten am besten entfalten kann. Dies kann im Stampflehmbau genauso erfolgen wie im Wellerbau. Neben der Kombination mit Stroh und den Regelungen zu Lehmprodukten geht Deutschland im Lehmsteinbau mit der ersten Ausführungsnorm dazu einen weiteren Riesenschritt in Richtung massentauglichem und verdichtetem Bauen (bis zu vier Geschossen). Selbiges zu Stampflehm wird folgen. Dabei geht der Aushub als Grundmaterial mit seinen wesensstiftenden Eigenschaften mitnichten verloren. Im Gegenteil, die Kreislauffähigkeit ist oberstes Gebot. Die Entsorgung des Lehms bedarf ausserdem einer Reinheit, die in Trinkwasserschutzgebieten gefordert ist. In der Zwischenzeit liegen die Prioritäten in der Nutzungsphase in der Entfaltung der klimaregulierenden Eigenschaften, die etwa durch Zugabe von Zement negativ verändert wird und die Bauteile somit letztlich ineffektiver werden als lehmgebundene Lehmbaustoffe. Diese Prämisse ist durchaus in der Produktionsentwicklung von Lehmsteinen industrieller Fertigung angekommen, die mittlerweile der Kalksandsteinproduktion entstammt und preislich gleich zieht. Weiteres Staunen mag für wissenschaftlich aufgeklärte Lehmenthusiasten die sich ankündigende Bestätigung einer allgemeine gängigen Lehmerfahrung auslösen, nämlich dass Lehm Schadstoffe dank effektiver Mikroorganismen abzubauen vermag. Womöglich werden wir uns noch öfter über all diese Wunder des Lehms wundern (wie bis anhin schon). Hoffentlich wird auch die Bauphysikergilde irgendwann diese faszinierenden Möglichkeiten in ihren Fachbereich integrieren.

Das Material an sich ist oft bei Martin Rauch gegeben, weil er mit dem Pechschotter im Vorarlberg gesegnet ist, den er für Lehm Ton Erde Baukunst direkt vom Recyclingbetrieb bekommt. Die Grundtechnik im Grunde auch. Der Stampflehm ist das Markenzeichen von Lehm Ton Erde Baukunst und dort liegt sein Fokus immer mehr auf der Entwicklung von Werkzeugen, vom Weiternutzen von ehemals gängigen Insitu-Mischmaschinen bis hin zur Entwicklung der Roberta II, des Stampflehmroborters aus der Erden-Werkhalle für die Feldfabrik in Bordeaux. Manchmal half da auch Fügung, um das Risiko und die Verantwortung tragen zu können, etwa beim Kunstprojekt in Feldkirch. Auch das Grundvertrauen der verantwortlichen Bauherrschaft trug dazu bei, Maschinen und Bauteile zu erschaffen. Und auch keine Scheu vor grossen Akteuren bei Architekten und Baukonzernen. Dennoch ist seine Kritik eindeutig gerichtet. Einerseits an die Verzerrung der Kostenwahrheit bei der Einpreisung des CO2 und der Energie, andererseits die unverhältnismässig hohe finanzielle Belastung der Arbeit an sich.

Von Werkzeugen, diesmal historischen, geht auch Roger Boltshauser in seiner Chronologie zur Erkundung des Stampflehms in der Schweiz aus. Die nachgebauten Stampflehmschalung von Cointereaux kann nach wie vor im Ziegelei-Museum in Cham gesehen werden. Die Stationen seiner Lehre an Hochschulen in Lausanne, München und Zürich gingen Hand in Hand mit der Entwicklung des Ofenturms. In seiner Bürotätigkeit sucht er nach einem spezifischen architektonischen Ausdruck für den Lehmbau unter Einbezug technischer Weiterentwicklungen des Materials im Zusammenspiel mit Stahl, Beton oder haustechnischen Elementen. So könnte man beim Hallenbad in Zürich-Oerlikon durchaus das Centre Pompidou denken.

Mit im Boot ist bei diversen Projekten Felix Hilgert, der neben seiner Zusammenarbeit mit Roger Boltshauser auf der praktischen Seite als LEHMAG mit dem Stampflehmexperten Lukas Baumann firmiert. Ausgehend von seinen Erkenntnissen zum linearen Umgang mit Lehm als zu entsorgender Aushub, ist die Motivation, genau dieses Material direkt zu verwenden. Kiesgruben verdienen hierbei bislang doppelt, beim Kiesabbau wie auch bei der Deponierung des Aushubs, sofern das Waschen nicht lohnend ist (> 12% Feinanteil, oftmals eben Lehm). Vom Kreislaufdenken ist die Branche nach wie vor noch weit entfernt, aber zumindest gelangt sie langsam in den Blickwinkel der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dahingegen wird auch in Projekten wie einem Mehrfamilienhaus in Kilchberg die akute Wirtschaftlichkeit und der Komfort über die Kreislauffähigkeit gestellt und zement-stabilisierte Lehmsteine produziert und vermauert. Dies entspricht gewohntem architektonischen Vorgehen und den Anforderungen bekannter Akteure am Bau. Aber auch der Einsatz von Fliesslehm mit Oxara wie bei bei der Kirche auf der Egg oder darüber hinaus der Einsatz von Robotern beim Musiclab in Bern sind in diesem Sinne konsequent.

Um dieser dominanten Bauwirtschaft einen Schritt entgegen zu kommen sind noch weitere Anstrengungen notwendig. Ein wichtiger Faktor, der oftmals begrenzend wirkt, ist der Brandschutz. Der Architekt Adrian Baumberger von baubüro in situ macht zu diesem unliebsamen Thema den Schritt heraus aus dieser Opferrolle und stellt sich als Teil der IG Lehm-Arbeitsgruppe Brandschutz den Herausforderungen einer Gleichstellung und Brandschutz-Regelung von Lehmbaustoffen. Dabei kann er sich auf die Forschungsarbeit von Johanna Liblik stützen und die darin abgeleiteten Werte und Formeln als Berechnungsgrundlage nutzen. So lassen sich die produktspezifische Prüfaufbauten überwinden und schaffen eine Flexibilität im Umgang mit Lehm, die bei Gips, Zement, Kalk von jeher und auch bei Holz heute schon gängig ist. Auf den ersten Blick scheint der Lehm in den derzeit noch konservativen Annahmen schlechter abzuschneiden. Nimmt man jedoch weitere Anforderungen am Bau hinzu, wie Schallschutz sind die geforderten Schichtdicken durchaus praktikabel. Das Ziel eines Regelwerks scheint greifbar und der Prozess in Gang.

In der Debatte um wirtschaftliche Faktoren im Lehmbau scheinen einerseits die Techniken unterschiedliche Fürsprecher zu haben, andererseits ist der Grad und die Art und Weise von Modifikationen ein empfindlicher Diskussionspunkt. Einig ist sich die Runde aus Christof Ziegert, Martin Rauch, Roger Boltshauser und Felix Hilgert hingegen über den zu erreichenden Massstabssprung – so wie es der Holzbau schon vorskizziert hat. Allerdings war da noch Wissen vorhanden und auch Strukturen, auf die man sich stützen konnte. Jenseits eines 1:1-Ersatzes der Plattenanwendung steckt auch im Massivbau in Form von Lehmsteinen grosses Potenzial. Wie der Stampflehm als Visionsbereiter in diese Kategorie vordringt, ist noch in der Entwicklung. Als Knackpunkt stellen sich auch die fehlenden Fachkräfte heraus. Durch geringe Nachfrage (bei den hohen Kosten) haben es diese wiederum schwer sich zu etablieren oder zu bestehen. Die Dimension der Bauten setzt indes auf komplexere und spezialisierte Firmenstrukturen. Daneben könnte auch das Hinterfragen des üblichen Perfektionismus im Bauwesen Bewegung in unser statisches Denken fossiler Prägung bringen.

Getragen von vielen dieser Gedanken konnte der Lehm in den gebauten Beispielen am Sonntag die Interessierten bei der IG Lehm-Exkursion ein weiteres Mal inspirieren. Unter der Leitung von Hansjakob Eggenberger führte die Reise zu vier unterschiedlichen Bauten mit Lehm durch das strahlend blaue Bündnerland und St. Galler Rheintal und bildete einen gelungenen Abschluss des professionellen und familiären Tagungswochenendes.

Christiane Löffler, 31. Mai 2023

Für die weitere Diskussion freuen wir uns über Ergänzungen, Kommentare und Sichtweisen:

erforderlich
erforderlich
erforderlich
Ungültiger Sicherheitscode


Programm

 

Freitag
ibW Höhere Fachschule Südostschweiz, Chur

Freitagabend, 5. Mai 2023

  • 18.00 - 18.15
    Einführung in die Veranstaltung und in das erste Fachreferat
    Margit Geiger
     
  • 18.15 - 19.05
    Materialdiät - Gründe für den Baustoff Lehm in der Bauwende
    Prof. Dr. Guillaume Habert – ETH Zürich · Zürich
    Handout
     
  • 19.05 - 19.35 Pause mit Apéro
     
  • 19.35 - 19.40 Einführung in das zweite Fachreferat
    Margit Geiger
     
  • 19:40 - 20.30
    Architektur des Gemeinwohls. Ethik der Bewahrung. Vom Erbe zur Gegenwart. [Englisch, Videoaufzeichnung]
    Salima Naji – Architektin · Marokko
    Handout
     
  • 20.30-20:40 Abschlussworte
    Margit Geiger
     
  • 21.00 Voraussichtliches Ende

 

Samstag
ibW Höhere Fachschule Südostschweiz, Chur

Samstag, 6. Mai 2023

  • 8.00 - 8.30 Registrierung der Teilnehmenden
     
  • 8.30 - 8.40
    Offizielle Begrüssung, Organisatorisches
    James Cristallo, Schulleitung, ibW
     
  • 8.40 - 8.50
    Vorstellung IG Lehm
    Christiane Löffler, Doris Müller
     
  • 8.50 - 9.00 Vorstellung Hauptsponsoren
     
  • 9.00 - 9.10 Anmoderation der folgenden Referate
    Christiane Löffler, Doris Müller

    4 Fachreferate
    Thema ökologische Tragweite
    9.10 - 11.10
     
  • Fire research of clay based materials: Claybased materials as fire protection for timber structures [Englisch]
    Johanna Liblik · Taltech · EE-Tallinn
    Handout
  • Radikal zirkulär
    Charlotte Bofinger – Zirkular GmbH · Basel
    Handout
  • Gesundes und nachhaltiges Bauen
    Holger Längle – Erfolgsgeheimnis Lehmbau GmbH · D-Deggenhausertal
    Handout
  • Aufbau einer Lehmbaustoffproduktion mit möglichst lokalen Rohstoffen
    Marc Hübner · lehmwerk ch · Dornach
     
  • 11.10 - 13.00 Pause
    Ausstellung IG Lehm Terramobil, inoffizieller Fachaustausch
    Mittagsverpflegung in den Räumlichkeiten der ibW
     
  • 13.00 - 13.05 Anmoderation
    Paul Knüsel

    4 Fachreferate
    Thema soziale Tragweite
    13.05 - 14.30
     
  • Earthy architecture//"Raw earth and the skill of building". Tighten up on raw earth and climate [Englisch, Videoaufzeichnung]
    Salima Naji – Architektin · Marokko
  • TERRAMISU"- Wiederbelebung des Lehms. Projekte in Kirgistan und Schweiz.
    Saikal Zhunushova – OEKOFACTA GmbH · Winterthur
    Handout
  • «Gibt es einen sozialeren Baustoff als Lehm?»
    Hubert Heinrichs – Zimmerei Heinrichs GmbH · D-Hiddenhausen
    Handout
  • Lehmbau im sozio-kulturellen Kontext
    Andrea Rieger-Jandl– TU Wien, Netzwerk Lehm · A-Wien
    Handout
     
  • 14.30 - 14.40 Anmoderation Podium
    Paul Knüsel
     
  • 14.40 - 15.10
    Podiumsdiskussion Thema soziale Tragweite
    Saikal Zhunushova, Hubert Heinrichs, Andrea Rieger-Jandl, Arnaud Labouré, Christof Ziegert
    Moderation: Paul Knüsel
     
  • 15.10 - 15.40
    Pause mit Zwischenverpflegung in den Räumlichkeiten der ibW
     
  • 15.40 - 15.45 Anmoderation Thema ökonomische Tragweite
    Paul Knüsel

    5 Fachreferate
    Thema ökonomische Tragweite
    15.45 - 17.45
  • «LEHMBAU, VOLLE KRAFT VORAUS! Situation des Lehmbaus in Deutschland - Umfeld und aktuelle Projekte»
    Christof Ziegert – ZRS Architekten Ingenieure · D-Berlin
    Handout
  • "Das Werkzeug ist der Schlüssel"
    Martin Rauch – Lehm Ton Erde Baukunst GmbH · A-Schlins
  • Material Based
    Roger Boltshauser– Architekt · Zürich
  • «Spannungsfeld Forschung und Ökonomie im Lehmbau»
    Felix Hilgert – Lehmag · Zürich
    Video Wien
  • Erde und Feuer – Ein Weg in Richtung Zulassung von Lehmbaustoffen als brandschutzwirksame Schichten
    Adrian Baumberger – IG Lehm/ insitu Baubüro · Zürich
    Handout
     
  • 17.45 - 17.50 Anmoderation Podium
    Paul Knüsel
     
  • 17.50 - 18.20 Podiumsdiskussion
    Thema ökonomische Tragweite
    Christof Ziegert, Felix Hilgert oder Roger Boltshauser, Martin Rauch, Hubert Heinrichs
    Moderation: Paul Knüsel
     
  • 18.20 Abschlussworte und voraussichtliches Ende

 

Organisation: Margit Geiger

Veranstalter

ibw Höhere Fachschule Südostschweiz
&
IG Lehm

Ort

Chur GR