Geschichte

Als der Mensch vor etwa 12‘000 Jahren sesshaft wurde, entwickelte er das Bedürfnis nach einer dauerhaften Behausung. Auf der ganzen Welt entwickelten sich in der Folge Bautechniken, die den jeweils lokal zur Verfügung stehenden Materialien angepasst waren. Neben Holz und Stein stellte auch der Lehm ein wichtiges Baumaterial dar.

In den trockenen, heissen Klimazonen entwickelten sich massive Lehmbaukonstruktionen. Dies nicht nur wegen der meist vorherrschenden Holzknappheit, sondern auch wegen dem sommerlichen Wärmeschutz durch die hohe Masse der Gebäude.
So besteht auch die Chinesische Mauer zu grossen Teilen aus Lehm. Stampflehm und Lehm- steine sind in China seit Jahrtausenden bekannte Bautechniken.

Mitteleuropa

In Mitteleuropa hatten die ersten Wohngebäude andere Anforderungen zu erfüllen. Hier galt es, den kalten Wintern und den starken Regenfällen zu trotzen. Dies führte zu einer Holzbauweise als tragende Struktur, deren Hohlräume mit Flechtwerk gefüllt und mit Strohlehm beworfen wurden. Daraus entwickelten sich die Fachwerkhäuser, die heute noch bei Sanierungen idealerweise mit Lehm ausgefacht werden.
Die Holzknappheit im ausgehenden Mittelalter führte in verschiedenen Gegenden zu gesetzlichen Erlassen, sodass z.B. Häuser erst ab dem ersten Geschoss als Fachwerk ausgebildet sein dürfen, darunter muss eine massive Mauer aus Stein oder Wellerlehm errichtet werden. Die Brandbeständigkeit von massiven Lehmmauern wurde vor allem in den immer dichter besiedelten Städten zu einem wichtigen Thema.

Die Industrialisierung im 19. Jh. hatte auch einen starken Wandel in der Baubranche zur Folge. Durch die Förderung von Kohle und der Entwicklung im Maschinenbau konnten gebrannte Baustoffe in grossen Mengen hergestellt und transportiert werden. Diese führte zu Backsteinen, Zementmörtel, Beton und Stahlbeton. Auf die Lehmbautechniken mit lokalem Material wurde v.a. nach dem zweiten Weltkrieg für kurze Zeit zurückgegriffen, denn es herrschte Wohnungsnot, die Fabrikationsanlagen und Transportwege lagen in Trümmer.

Die Tradition europäischen Lehmbaus wurde im Forschungsprojekt «Terra incognita – Earthen Architecture in Europe» veranschaulicht.

Schweiz

In der Schweiz ist die Geschichte der Pisébauten bemerkenswert. Nicht nur in jüngster Vergangenheit, sondern auch in anderen zeitlichen Kontexten, wie die Dissertation von Thomas Kleespies belegt:

«Die Geschichte der Schweizer Pisébauten geht zurück auf die französischen Vorbilder in der Umgebung von Lyon. Sie verbreiteten sich über den Handel mit Leinwand. Flachs und Hanf wurden seit dem frühen Mittelalter im südlichen Bodenseeraum zu Leinwand verarbeitet und von dort über Lyon nach Marseille, über das Mittelmeer bis in den Nahen Osten vertrieben. Die Baujahre der Schweizer Pisébauten lassen sich in drei Zeiträume eingrenzen: Die erste Phase zur zweiten Hälfte des 17. Jh, zwischen 1661-1671, mit Pisébauten in Hauptwil TG und im Raum Genf. Ihr Bau steht in direktem Zusammenhang mit dem Beginn des "freien Unternehmertums". Die zweite Phase, zwischen 1820-1865, geht vom Wunsch aus, die Gesellschaft und ihre Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Schulwesen zu reformieren und die hygienischen Zustände in den immer noch mittelalterlich geprägten Dörfern zu verbessern. Die Pisé-Bauweise fand jetzt Anwendung mit finanzieller Unterstützung der verschiedenen kantonalen gemeinnützigen Gesellschaften, die sich in vielen Fragen des Gemeinwohls engagierten und aufgrund von Reformen, wie zum Beispiel der Reform des Schulwesens im Thurgau im Jahre 1831. In der dritten Phase, zwischen 1918 und 1942, sind es bereits Aspekte der Bauphysik und der Energieeinsparung, die zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Pisébauweise Anlass geben. Das Ende der Pisébauweise hat mit der gewaltigen Steigerung der Kohleförderung in der ersten Hälfte des 20. Jh. zu tun. Hinzu kommt der Ausbau eines leistungsfähigen Schienen- und Strassennetzes im gleichen Zeitraum. Neben dem Ziegel konnten damit auch noch andere Baustoffe in immer grösseren Mengen hergestellt und transportiert werden Die Industrialisierung, die in ihren Anfängen die Pisébauweise in die Schweiz gebracht hatte, sorgte nach und nach auch wieder für ihr Verschwinden.»

(Auszug aus: Thomas Kleespies, Schweizer Pisébauten, ETH Zürich, 1997)
Dissertation Thomas Kleespies: Schweizer Pisébauten

Ebenso Publikation zu Stampflehmbauten mit Übersichtskarte -und verzeichnis:
Roger Boltshauser, Cyril Veillon, Nadja Maillard (Hrsg.), Pisé. Stampflehm – Tradition und Potenzial, Triest Verlag, Zürich, 2019

Seit den 1980er Jahren erlebt der Lehmbau eine Renaissance. Nun aber nicht mehr als Notbaumaterial, sondern bewusst, da Herkunft und Ästhetik der Lehmbaustoffe vermehrt Gefallen findet.

Die Lehmkarte Schweiz, welche anfangs der 80er Jahre mit der SIA D077 entstand, ist als PDF verfügbar und zeigt einige Orte, an denen Lehm zu finden ist.

Lehmkarte Schweiz

Daneben gibt es auch eine kleine, relativ junge Geschichte der IG Lehm, die sich ab 1986 aus einer Interessensgemeinschaft heraus zum Fachverband entwickelte und so sein Anliegen, dem Lehmbau zu dienen, klar bekundete.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums entstand eine Zeitleiste der Meilensteine und Geschehenisse, die nun zum 25-Jährigen aktualisiert wurde. Und natürlich geht diese Geschichte weiter.

Zeitleiste Jubiläum IG Lehm